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Thierry Harpes             ☰

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Bilder zwischen Raum und Zeit

 

Eine neue Umgebung, viel Zeit der Isolation – und alles ist anders. Thierry Harpes‘ neueste Werkserie zeigt eindrucksvoll, wie unser Umfeld das Denken und den künstlerischen Ausdruck beeinflusst. Kurz vor dem ersten Corona-Lockdown ist der Künstler nach Luxemburg gefahren, wo er ein ganzes Jahr verbrachte. Die Zeit in Quarantäne, der Stillstand und die gleichzeitige Veränderung prägen die Arbeiten, die von Orten in Südfrankreich, Luxemburg und Berlin erzählen.

Mannigfache Blickwinkel sind typisch für das Werk von Thierry Harpes: Dreidimensionale Plexiglasobjekten, die sich umschreiten lassen und so stets neue Ansichten ermöglichen, sind der Kern seiner Arbeit. Während der letzten Monate ist er dazu übergegangen, auf flachen Untergründen, wie Leinwand oder Holz, zu malen. Dennoch wirkt es, als habe er nichts an seiner bisherigen Vorgehensweise geändert: Noch immer ist seine Malerei geprägt vom Vielfachen. Die Cutouts, die die Arbeiten It’s (a)rose (2021) und Gesundbrunnen (2021) gliedern, wirken wie ein Zwischenstopp zwischen Zwei- und Dreidimensionalität. Ob flächig oder räumlich, Harpes‘ Arbeiten sind polyfokal. Vielschichtig fügen sich ihre Einzelteile zu einem großen Ganzen zusammen.

 

Das zeigt sich zum Beispiel in der Farbpalette des Künstlers: Sie ist knallig und leuchtend, fast flirrend – und teilweise künstlich. Unterstützt wird dieser Eindruck von der Oberflächenwirkung der Acryl- und Lackfarben, die zwischen glänzend und matt changiert. Das Zusammenspiel auf der Bildfläche erzeugt eine harmonische Interaktion scheinbarer Gegensätze.

Wie in der Musik. Harpes ist inspiriert vom Jazz, dem Ineinandergreifen von Tönen zu einer Harmonie – was sich malerisch in der Arbeit Akkord D7 (2021) manifestiert. Zu Beginn, so scheint es, sind die Verhältnisse auf der Leinwand einigermaßen unklar. Es herrscht eine Simultaneität von Linie und Fläche. Vermeintlich willkürlich wandelt der Künstler zwischen den Sphären. Wo ist Innen und wo Außen, wo der Anfang und wo das Ende? Jene Unbegrenztheit der Werke bringt eine große Freiheit mit sich: Harpes beschränkt sich nicht allein darauf, das Gesehene wiederzugeben. Stattdessen bringt er all seine Eindrücke auf die Leinwand – den Blick auf das sonnendurchflutete Summen der Straße, ein langgestrecktes Geländer, einen Hügel, eine Emotion.

Hier ist alles zu sehen, jede Empfindung erlaubt – und dargestellt. Eine Dynamik, wie sie auch im Theater oder in der Performancekunst zu finden ist und stark durch Bewegung lebt, fasziniert den Künstler seit früher Kindheit. Obwohl Harpes selten biografische Bezüge herstellt, treten in dieser Werkserie immer wieder Orte aus seiner Jugend auf. Etwa in Behind the Shelf, wo ein Schrank zum Untersuchungsschwerpunkt wird. Der Künstler stellt ihn gleichzeitig von innen und von außen dar, als könnten die Betrachter:innen durch Wände und Türen blicken. In Monster’s room (2021) meint man sogar, Figuren zu erkennen. Subtil treten Themen wie Einsamkeit, Abschied und Erinnerungen in den Vordergrund.

 

Das vorherrschende Gefühl beim Betrachten der Arbeiten bleibt die Überwältigung – hervorgerufen durch die Gleichzeitigkeit der Perspektiven, das örtliche Nirgendwo und Überall. Doch die Zergliederung der Gegenstände lässt aus einer anfänglichen Desorientierung eine wohlige Zerstreuung werden. Erst wenn man sich auf die Flut von Sinneseindrücken einlässt, treten der ganze Lärm, die ganze Stille, alle Erinnerungen, die diese Bilder vereinen, auf einen zu.

 

Das Ergebnis: ein nie langweilig erscheinendes Ineinander und Miteinander, ein Deep Dive in Thierry Harpes‘ Gefühls- und Umwelt.

 

Text: Julia Meyer-Brehm

Thierry Harpes © 2022.